Reuter Dez/Jan 2011/2012

Ausharren auf der Baustelle

Jutta Blume

Ich werde mit über 5o gezwungen, mich zu radikalisieren. Dabei würde ich lieber zu Hause sitzen und meine Bilder malen, erzählt Stefan Fahrnländer aus der Fuldastraße. Das Haus in dem er wohnt wird gerade energetisch saniert. Als das Haus an der Ecke zum Weichselplatz Anfang zoro verkauft wurde, haben sich die Mieterlnnen zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen drastische Mietsteigerungen von bis zu 89 Prozent und die Widrigkeiten des Lebens auf der Baustelle vorzugehen. Die Angst vor der Verdrängung hat sie auch motiviert, sich stärker politisch zu engagieren.

So zum Beispiel am 8. November: Einige Bewohnerlnnen ziehen mit kleinen Straßenschildern „Fuldastr. 3r/32“ und „Weichselplatz 8/9“ ins Rote Rathaus, um gemeinsam mit anderen Mieterinitiativen die künftigen Koalitionsparteien aufzufordern, endlich etwas gegen die explodierendeu Mieten in der Stadt zu tun. Sie übergeben zwei Parteienvertretern ein Dossier, in dem sie exemplarisch Problemfälle beschrieben haben, die unter anderem wegen energetischer Modernisierung mit enormen Mietsteigerungen konfrontiert sind – darunter auch die Erfahrungen der Mieterlnnen vom Weichselplatz.

Nach Ansicht von Fahrnländer sollte sich die Mietsteigerung wegen einer Modernisierung an der sozialen Lage der Mieterlnnen orientieren .und energetische Maßnahmen sollten sich über Ersparnisse bei den Heizkosten ausgleichen. Die Mieterlnnen beklagen, die Eigentümerlnnen würden ihnen nicht aufAugenhöhe begegnen.

„Wenn man länger in einem Haus lebt, entwickeltman eine Beziehungzu dem Haus. Wir wissen viele Dinge, die die Besitzer nicht wissen“, sagt Fahrnländer. So wollten die neuen EigentümerInnen die Gasleitungen austauschen, die Mieterlnnen mussten sie darauf hinweisen, dass sie erst vor zehn Jahren erneuert wurden. Verärgert sind die Mieterlnnen auch über den neuen Fernwärmeanschluss, obwohl viele selbst Gasetagenheizungen eingebaut hatten. Fahrnländer zweifelt nicht nur an der teureren Fernwärme, sondern findet auch, dass es wegen der Fassadendämmung im Haus nun feuchter und kühler geworden ist.

Auch psychisch ist die Modernisierung für die verbliebenen Mieterlnnen eine Belastung. „Es gibt Dreck, Staub, Lärm, die ewigen Zutritte zur Wohnung, die man gewähren muss. Ich kann nicht mehr meinen eigenen Rhythmus leben“, schildert Heike ihre Erfahrung. Ein ruhiger Rückzugsort ist ihr Zuhause mittlerweile nicht mehr, bleiben will sie trotzdem.