RLF – 25.09.2014

Vergesst die Wahl! Organisiert Euch!

Die Bundestagswahl ist vorüber. Wir können uns also endlich mit den wichtigen Dingen beschäftigen, die während dieses parteienfinanzierten Demokratie-Zirkus so alles unter den Tisch gefallen sind. Zum Beispiel mit der Demokratie.

Ein Wort vorweg: Für uns ist es nicht sonderlich interessant zu erfahren, wer jetzt mit wem und so weiter. Am Ende wird es ein Parlament geben, das von den verschiedenen Spielarten des Neoliberalismus’ dominiert ist und welches von über 44 Millionen Menschen in Deutschland nicht gewählt wurde (21 Millionen sind nicht wahlberechtigt, 17,6 Millionen haben nicht gewählt, 7 Millionen haben Parteien gewählt, die an der 5-Prozent-Hürde gescheitert sind). Die Demokratie von oben braucht im 21. Jahrhundert keine Mehrheiten mehr. Hate to say I told you so, aber wir wussten es ja bereits im Vorhinein. Ihr übrigens auch.

Und überhaupt: Ja, die Republik ist nun schwarz, aber sie war auch vorher schon schwarz. Die CDU wird unter Merkel ihren Modernisierungskurs fortsetzen und konservative Quälgeister, die am rechten Rand herunterfallen, werden zukünftig bei der AfD oder noch weiter rechts unter Vertrag genommen. Lasst euch nicht von den Farben täuschen. Die Parteien des gesamten Farbspektrums dienen der dunklen Seite wie Darth Vader.

Organize!

Während die Einen noch wählen, sind die Anderen schon längst dabei, an gesellschaftlichen Alternativen zu bauen, die das demokratische Fundament der Zukunft bilden: jene zahllosen sozialen Bewegungen und politischen Initativen weltweit, die sich an den Bruchzonen unserer gegenwärtigen Ordnung zusammenfinden.

Die kapitalistische Wachstumskrise hat unter anderem zur Folge, dass die riesigen Kapitalstöcke, die sich in den letzten Jahrzehnten angesammelt haben, nach rentablen Anlagemöglichkeiten suchen, damit die Kohle auch ja da bleibt, wo sie gerade ist: in privatem Besitz. Da ist zum Beispiel der deutsche Wohnungsmarkt zu nennen – für Kapital-Freunde und -Freundinnen derzeit der Rockstar unter den sicheren Anlageoptionen. Die Konsequenz kennen wir alle: Steigende Mietpreise, Verdrängung von Menschen mit wenig Geld in städtische Randgebiete und der schleichende kulturelle Tod von Städten.

Doch wo Kapital rumstresst, ist Widerstand nicht weit. Statt auf den lähmenden Parteienstaat zu vertrauen, organisieren sich in vielen Städten der Republik (und europaweit) mittlerweile Hausbewohner_innen selbst, um sich gegen Mieterhöhungsforderungen und andere Zumutungen von Wohnungsgesellschaften zu wehren. Ausgehend von der konkreten Bedrohung, ihr Zuhause zu verlieren, hat beispielsweise in Berlin die Hausgemeinschaft am Weichselplatz / Ecke Fuldastraße vor gut drei Jahren begonnen, sich selbst zu organisieren. Neben wöchentlichen Plena, in denen Strategien und Perspektiven diskutiert werden, werden auch stadtweite Bündnisse mit anderen Wohninitiativen geschlossen, um aktiv in parlamentarische Prozesse einzugreifen: Durch die Erstellung und Einreichung des mietenpolitischen Dossiers 2011/2012 wurde beispielsweise die Grundlage dafür geschaffen, das Wohnungsproblem aus Sicht der Betroffenen in den politischen Gremien zu verhandeln. Zeitgleich besetzten sie zu den Berliner Koalitionsverhandlungen das Foyer des Roten Rathauses, um den Druck auf den Senat zu erhöhen. Statt also Parteien als Gestaltungsinstanz und als den eigentlichen Souverän zu akzeptieren, werden sie als Durchsetzungsinstanzen der demokratischen Öffentlichkeit genutzt.

Oder aber – statt auf Parteien zu vertrauen, die Interessen der Betroffenen endlich wahrzunehmen – sie bauen selbst Druck auf die Eigentümer_innen auf und ringen ihnen Zugeständnisse ab. Mit Transparenten und Flyern, Straßenfesten und gezielter Pressearbeit intervenieren sie in den gesellschaftlichen Raum, sensibilisieren die Öffentlichkeit für das Wohnungsproblem und schärfen das Bewusstsein von Betroffenen vom Wohnen als Ware. Der demokratische Entscheidungsprozess findet unterhalb des Radars des Repräsentationssystems statt – wenn auch unter ungleichen Machtverhältnissen. Dabei lassen sie eine ganz andere gesellschaftliche Formation entstehen: mit Entscheidungen, die in Vollversammlungen getroffen werden, mit einer Arbeitsteilung, die Notwendigkeiten unter Bedürfnisse subsumiert, und mit einer Praxis, die auf Gemeinschaftlichkeit und Offenheit statt auf Hierarchien setzt.

RLF sagt: This is what democracy looks like!